9. Juni
Liebe Blogger,
Ich gebe zu, mein eigener Blog macht süchtig. Manchmal kann ich, selbst wenn ich todmüde nach einer Lesung um Mitternacht nach Hause komme, der Versuchung nicht widerstehen, die neuesten Einträge zu lesen.
Über die Verschwörungstheorie und die Macht der Dummheit
Besonders viel Freude machen mir natürlich die Verschwörungstheoretiker, die anhand von Stil- und Fehleranalysen genau erkennen, hinter welchem Pseudonym ich mich gerade auf meinem eigenen Blog verstecke. Ich bin ein großer Verehrer von Arthur Schnitzlers Komödie „Fink und Fliederbusch“. Da der liberale Fliederbusch auf meinem Blog mehr als gut vertreten ist, wäre der Reiz für mich sehr groß, dem reaktionären Fink meine Stimme zu leihen. Ich kann allen versichern, dass - wenn ich mich tatsächlich hinter eine Figur auf meinem Blog verbergen würde - dies mit Sicherheit einer aus der „Profundi-Fraktion“ wäre, um den Blog weiter anzuheizen. Wenig Sinn würde es dagegen machen jener großen Mehrheit, die meine eigenen Positionen ohnehin sehr eloquent verteidigt, eine weitere Stimme hinzuzufügen. Ich gestehe aber ganz offen, dass ich selbst mit viel Fantasie nicht zu jener Aufdeckungsarbeit fähig wäre, die von der „Profundi-Fraktion“ auf diesem Blog geleistet wird. Diese Meister der objektiven Recherche fordern ja zu Recht von mir, dass ich endlich ihre Leistungen würdige und zu ihren unwiderlegbaren Beweisen Stellung nehme. Daher möchte ich allen Blogger zwei meiner absoluten Favoriten nicht länger verschweigen:
inlinzbeginnts ist der Beweis zu verdanken, dass sämtliche Bestsellerlisten aller Zeitungen und Magazine in diesem Land, die mein Buch seit seinem Erscheinen hartnäckig auf den Plätzen 1 bis 3 führen, Teil einer großen Verschwörung sind. Durch scharfes Beobachten des riesigen Stapels meines Buches in der Buchhandlung Thalia in Linz fiel ihm auf, dass jedes Mal, wenn er heldenhaft in meinem Buch geblättert hat, kein einziges Buch gekauft wurde. Dass die größte Linzer Buchhandlung ihre beste Verkaufsfläche mit dem TALENTIERTEN SCHÜLER UND SEINE FEINDE zupflastert, zeigt nur, dass auch die Buchhändler ungeachtet ihrer eigenen ökonomischen Interessen Teil dieser Verschwörung sind.
Tief beeindruckt hat mich andacava, der mit einer bestechenden logisch-mathematische Meisterleistung bewiesen hat, dass 95 Prozent mit unserem Schulsystem hoch zufrieden sind, denn nur die 5 Prozent Unzufriedenen hätten ja mein Buch gekauft. Entwaffnend ist vor allem der kühne Schluss, dass vor allem jene Mehrheit der Österreicher, die überhaupt nie oder nur maximal ein Buch im Jahr kaufen, damit ihre große Zufriedenheit mit dem Schulsystem ausdrücken wollen. Ganz besonders gilt dies natürlich für jene 21 Prozent de facto Analphabeten, die uns die letzte EU-Studie bescheinigt.
Buchtipp an dieser Stelle, ist der Klassiker von André Glucksmann: Die Macht der Dummheit
All jenen, die an einer ernsthaften Auseinandersetzung über unser Bildungssystem interessiert sind, sei versichert, dass ich der Versuchung die Aufdeckungsleistungen der „Bunkerboys“ auf diesem Blog einmal zu würdigen nicht so bald wieder nachgeben werde. Der polemische Austausch von Unfreundlichkeiten bringt uns nämlich nicht weiter. Es ist nur zu hoffen, dass die von ihrer eigenen Großartigkeit so überzeugten Lehrer der Profundi-Fraktion ihre Aggressivität nicht an wehrlosen Schüler auslassen. Ein gutes Mittel dagegen wäre, sich einmal einem anonymen Feedback ihrer Schüler zu stellen.
Ich denke inzwischen intensiv darüber nach, wie man alle Interessierten, die gute und konstruktive Vorschläge machen, in einen produktiveren virtuellen Dialog einbinden kann. Denn dass unser Schulsystem dringenden und radikalen Reformbedarf hat zeigt die traurige Realität am Ende des Schuljahres.
Soziale Ungerechtigkeiten in unserem Schulsystem
Wenn am Ende dieses Schuljahres wieder ca. 37.000 Schüler offiziell bestätigt bekommen, dass sie zu dumm für unser Schulsystem sind, dann ist das - unabhängig von ihrer unbestreitbaren eigenen Verantwortung - vor allem ein schweres Versagen unseres Schulsystems. Ich erlaube mir zwei Fragen zu stellen:
Wie viele Lehrer haben heuer eigentlich ihr Klassenziel nicht erreicht? Werden sie im Sommer ihre pädagogischen Qualifikationen nachschulen und wird das im Herbst auch überprüft werden?
Wie viele AHS Oberstufen-Schüler würden noch durchfallen, wenn nicht jeder zweite von ihnen Nachhilfeunterricht erhielte?
Der sehr fundierte Bericht der Expertinnenkomission von Bernd Schilcher analysiert im Kapitel über Qualität - Gerechtigkeit – Effizienz glasklar wie sehr unser Schulsystem sozial Benachteiligte diskriminiert und hohe Drop-out Raten produziert. Drop-out - ein höfliches Wort für zerstörte Lebenschancen junger Menschen. Den Bericht zum downloaden: http://www.bmukk.gv.at/schulen/bw/nms/ek.xml
Die Fakten sind sehr eindeutig und zeigen einen hohen Handlungsbedarf. Umso mehr freut mich, dass, wann immer ich alleine oder zusammen mit Bernd Schilcher oder Kurt Scholz zu Diskussionen in ganz Österreich eingeladen werde, fast immer zwischen 150 und 400 Menschen kommen, viele von ihnen engagierte Eltern und Lehrer. Sie alle wollen, unabhängig von ihrer politischen Überzeugung, gemeinsam etwas zum Besseren verändern.
THE CURRICULUM PROJECT und Initiativen für eine bessere Schule
Ich lese natürlich sehr genau die Vorschläge auf diesem Blog, was man tun könnte, um nicht nur in der Diskussion stecken zu bleiben. Sehr gut gefällt mir die Idee eine große Konferenz mit betroffenen Schülern, Lehrern, Eltern und internationalen Experten zu veranstalten. Meine Erfahrung nach vier Jahren Waldzell hat mir aber gezeigt, wie aufwendig und auch kostenintensiv eine wirklich gut gemachte Konferenz mit internationaler Beteiligung ist. Die Vorlaufzeit sollte mindestens ein Jahr sein, es soll sich aber niemand abschrecken lassen, der so etwas plant. Ich habe eher vor im Herbst einige sehr einfache Vorschläge zu machen, die an jeder interessierten Schule mit eigenen Mitteln sofort umgesetzt werden können. Wenn sich die daran Beteiligten dann vernetzen und ihre Erfahrungen austauschen könnten daraus eine oder mehrere Basisbewegungen entstehen. Dieser Blog bzw. ein entsprechend moderiertes Forum könnte dabei Drehscheibenfunktion übernehmen.
Wie immer wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Bloggen.
Andreas Salcher
26. Mai
Liebe Blogger,
zunächst empfehle ich allen Interessierten den umfassenden und sehr differenzierten Artikel Wir machen Schule in der aktuellen Maiausgabe des Geo. Er zeigt, dass Schulreform an jeder Schule und Klasse beginnen kann, wirbt für ein neues Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern und zeigt die Grenzen von verordneten Schulreformen auf.
Soll Schule eine Insel sein?
Wie auch im Blog angesprochen war die Diskussion am 16. Mai an der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule in Strebersdorf eine besondere interessante. Sie hat die unterschiedlichen Erwartungshaltungen an Schule und Lehrer und auch die dahinter stehenden Werthaltungen in einer intellektuell und fachlich sehr hoch stehenden Diskussion auf den Punkt gebracht. Gerade weil das Publikum (logischer Weise) fast nur aus Lehrern bestand, zeigte sich deutlich, wie sehr auch bei Lehrer diese Diskussion polarisiert.
Die von mir, Bernd Schilcher und führenden Lernforschern wie z. B. dem MIT Professor Peter Senge vertretene These sagt, dass unser Schulsystem in seiner heutigen Form erst mit dem Beginn der Industrialisierung geschaffen wurde und daher eine relativ junge Institution ist. Davor wurde berufliches Wissen vom Meister eines Faches, also einem Goldschmied, einem Bäcker, einem Maler oder einem Hufschmied an seinen Lehrling in einer sehr persönlichen Lernbeziehung weitergegeben. Damit der Lehrling aber nicht nur das Wissen seines Meisters kannte, machte er sich dann als Geselle auf die Reise, um auch von anderen Meistern zu lernen, bevor er selbst einer werden durfte. Die Trennung in fachliche Kompetenz in einem Beruf und in die pädagogische Vermittlungskompetenz fand eben erst mit der industriellen Revolution statt. Daher fehlte der Schule von Anfang an die Einbindung in unsere Gesellschaft, die zum Beispiel in der Wirtschaft Jahrhunderte lang durch die Bauern, Märkte, Handwerker, Kaufleute, Handelsschiffe und Banken immer gegeben war. Die Wirtschaft war immer Teil unseres Lebens so wie Sport, Technik oder Kultur. Genau diese Verflechtung mit unserer täglichen Welt brauchen die Schulen in Zukunft, wenn sie nicht zu Museen einer längst vergangenen Zeit verkommen wollen. Und dazu müssen wir Mauern niederreißen. Die Schule von morgen muss sich endlich als Teil unserer Gemeinschaft und die Gemeinschaft muss sich als wichtiger Ort des Lernens verstehen. Dieser Werthaltung folgend trete ich auch massiv dafür ein, dass die Schüler, und sonst niemand der Kunde im Schulsystem sein sollten.
Die Gegenthese, die bei der Diskussion in Strebersdorf vertreten wurde, sieht Schule eben als bewusstes Gegensystem zu unserer Gesellschaft, die eine quasi Inselfunktion haben soll und sich daher nur sehr langsam verändern kann und soll. Der Lehrerberuf sei eben mit keinem anderen vergleichbar, daher darf er auch nicht mit den in unserer Gesellschaft üblichen Bewertungsmassstäben gemessen werden. Ein guter Lehrer wisse selbst, was am besten für seine Schüler sei, und die Unkündbarkeit von Lehrern sei eine ganz wichtige Schutzfunktion. Lernen mache eben prinzipiell nicht Freude, sondern ist harte Arbeit für Schüler und Lehrer. Daher sei auch das aus der Wirtschaft übernommene Denken in Kundenbedürfnissen in der Schule verfehlt.
Liebe Blogger, die Frage die sich stellt ist, wie weit muss, soll sich die Schule in Zukunft der Gesellschaft öffnen? Diskutieren wir doch einmal ohne Polemik über diese Frage in dem aufgestellten historischen Kontext.
Noten abschaffen?
Immer wieder werde ich gefragt, bzw. wird mir auch auf diesem Blog unterstellt, dass ich für die Abschaffung der Noten eintrete. Ich habe das weder mit einem Wort in meinem Buch noch in der Öffentlichkeit je gefordert. Ich bin selbst ein sehr leistungsorientierter Mensch und ein großer Anhänger der flow-Theorie von Mihaly Csikszentmihalyi. Diese besagt, dass der Mensch dann die größten Glücksgefühle erzielen kann, wenn er im richtigen Ausmaß gefordert wird und auch regelmäßiges und vor allem unmittelbares Feedback erhält. Daher habe ich kein Problem mit Noten, so sie zumindest einigermaßen plausibel sind, was bei der Bewertung von Deutschschularbeiten nach einem Lehrerwechsel oft eindeutig nicht der Fall ist. Ich bin daher aber auch für ein regelmäßiges Feedback der Schüler an die Lehrer. Ein Thema, das bei manchen Lehrern ungemeine Ängste auslöst. Der Prozess des wechselseitigen Feedbacks setzt sich in unserer Gesellschaft immer mehr durch, und wird daher auch vor den Schulen nicht halt machen. Wenn wir Sechzehnjährige wählen und somit über die Zukunft des Landes mitentscheiden lassen, dann werden wir ihnen wohl kaum die Verantwortung absprechen können, ihre Lehrer zu bewerten. Lehrerfeedback wird daher kommen. Die Frage ist nicht, ob, sondern wann und in welcher Form.
Eine intensive Woche liegt vor uns
Am Montag, den 26. Mai bin ich bei der WBS (Wiener Gesellschaft für Bildungspolitik und Schulmanagement) eingeladen, die von Walter Strobl, dem derzeit von der ÖVP gestellten Stadtschulratsvizepräsidenten, gegründet wurde. Am Dienstag, den 27. Mai geht es zur SPÖ-Hernals, wo mich Josef Cap, rote Bezirksschulinspektoren und Lehrergewerkschafter erwarten werden. Am Mittwoch, den 28. Mai bin ich in der Stadtbuchhandlung Liezen und am Donnerstag, den 29. Mai diskutiere ich dann in der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz mit Bernd Schilcher und Kurt Scholz. Das wird wohl eine harte Tour für jene offensichtlich professionellen Beobachter, die mich bei meinen Veranstaltungen begleiten, jedes meiner Wort aufschreiben, um Widersprüche zu entdecken und jeden Besucher zählen um dann genau zu wissen ob bei einer Veranstaltung tatsächlich 400 oder 300 im Publikum waren. Alle, die zumindest bei einer meiner Veranstaltungen dabei waren, werden mir bestätigen: Die Säle sind voll, es kommen viele Menschen, die mit mir diskutieren wollen – und das macht mir viel Spaß und Freude.
Der Blog explodiert (Teil 2)
Dieser Blog bewegt sich mit großer Geschwindigkeit in Richtung 800 Beiträge, mein Blog im Kurier http://www.kurier.at/interaktiv/blog/schueleranwalt/ kommt gerade so richtig in Bewegung und die zwei bis dreifache Anzahl an Reaktionen erhalte ich nach wie vor als persönliche E-Mails. Im Kurier ist es - entgegen aller schon vorab lautstark geäußerten Ängste - zu keinerlei öffentlichen Lehreranklagen oder gar Verleumdungen gekommen. Wenn Schulbehören bürokratische Argumente bei der Schulzuweisung über die Interessen der Schüler stellen oder wenn einzelne Lehrer den Legasthenieerlass des Unterrichtsministeriums hartnäckig ignorieren, dann zeigen wir das natürlich konsequent auf.
Fast alle der Reaktionen, die ich persönlich von Lehrer erhalte sind positiv, und auf den beiden Blogs überwiegt die Zustimmung bei weitem: Die meisten Lehrer leiden unter diesem System und wollen es dringend verändern. Das Feedback von Eltern und Schülern ist ausnahmslos positiv.
Bei der Analyse der Beiträge auf diesem Blog stelle ich drei unterschiedliche Motivationen fest:
1. Blogger, die vor allem inhaltliche Konzepte und Verbesserungsvorschläge austauschen und sachlich darüber mit Gleichgesinnten diskutieren wollen.
2. Blogger, die virtuelle Debatten und Streitgespräche über die Thesen meines Buches führen wollen.
3. Blogger, die einfach Dampf ablassen wollen.
Ich denke derzeit intensiv darüber nach, wie man diesen drei unterschiedlichen, und von mir respektierten Motivationen am besten sinnvoll gerecht werden kann. Für Vorschläge bin ich dankbar.
Andreas Salcher
13. Mai
Liebe Blogger,
ich bin seit 2. Mai nach meiner USA Reise wieder im Lande und toure intensiv mit Lesungen und Diskussionen durch Österreich. Einige Beispiele aus der letzten Woche, die zeigen, wie groß das Bedürfnis nach Veränderungen in unserem Schulsystem ist. Im Zeitraffer:
Dienstag, 6. Mai in der Da Vinci Schule in Hartberg, einer Privatschule, die ihren Schülern zum Beispiel im Lernfeld „Bionik“ den Zusammenhang von ökologischen Strukturen und technischer Umsetzung lehrt. Das IMAX Kino im Ökopark in dem die Veranstaltung stattfindet ist um 14.00 Uhr mit 350 Teilnehmern bis auf den letzten Sessel gefüllt. In der einstündigen Diskussion nach meiner Präsentation gibt es auch von den vielen anwesenden Lehrern fast einhellige Unterstützung zu den Thesen meines Buches.
Am Nachmittag diskutiere ich mit dem Leiter der Grünen Akademie Steiermark über ein konkretes Schulmodell und am Abend bin ich dann noch bei der Steirischen Volkspartei zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Auch dort stehen die Besucher bis auf den Stiegenaufgang. Die Diskussion ist sehr heftig.
Am Mittwoch den 7. Mai lese ich in der ÖBV Buchhandlung in Wien. Trotz strahlenden Wetters sind 200 Besuchern gekommen. Man hat mich gewarnt, dass ich an diesem Abend vor allem mit vielen Lehrern im Publikum rechnen müsse, die zu den Stammkunden dieser großen Schulbuchhandlung zählen. Das stimmt zwar, aber die Stimmung ist sehr positiv und es gibt ebenfalls nur Zustimmung und positive Diskussionsbeiträge.
Trotzdem lese ich jeden Abend die Vielzahl der Mails, die ich persönlich bekomme und natürlich auch die heftigen Diskussion auf meinem Blog. Zeit zum Antworten finde ich leider meist erst am Wochenende. Ich bitte auch um Verständnis, dass ich nicht auf einzelne Blog-Beiträge eingehen kann. Aber die Blogger finden ohnehin auch ohne meine Beteiligung genug Zündstoff.
Diese Woche bin ich u. a. vom BSA (Bund sozialistischer Akademiker) in St. Pölten eingeladen, im Management Club diskutiere ich mit Bernd Schilcher und Kurt Scholz, die ich beide sehr schätze. Am Freitag bin ich bei einer Diskussion der Kirchlich Pädagogischen Hochschule über Begabungsförderung.
Unabhängiger Schüleranwalt des Kurier
Ich habe mich entschlossen, das Angebot des Kuriers unabhängiger Schüleranwalt zu werden, anzunehmen. Das ermöglicht mir die immer größere Anzahl von Fällen, mit denen ich konfrontiert werde professionell zu bearbeiten. Schon nach wenigen Tagen wird klar, dass das Echo von Schülern und Eltern überwältigend ist. Ich übe diese Tätigkeit natürlich ehrenamtlich aus, sie ist aber sehr zeitintensiv. Auch im Kurier habe ich einen Blog eröffnet, wo meine Fans und Gegner schon intensiv diskutieren. Meine Rolle als Schüleranwalt wird es mir jedenfalls in Zukunft ermöglichen den notwendigen Druck in der Öffentlichkeit und bei den Behörden zu verstärken. Viele sehen darin eine Hoffnung, einige werden das als gefährliche Drohung verstehen. Frau Ministerin Claudia Schmied hat dem Chefredakteur des Kurier Dr. Christoph Kotanko und mir versichert, dass sie sich bemühen wird allen Fällen nachzugehen. Natürlich erhoffen wir uns, dass Schüler und Eltern in dem leider sehr starren und hierarchischen Schulsystem endlich jenen Stellenwert bekommen, den sie verdienen: Die Rolle als wertgeschätzte Kunden
Was mir Sorge macht, ist, dass fast alle Eltern und Schüler bitten, ihre Fälle anonym zu behandeln. Das macht konkrete Lösungen schwierig. Es zeigt aber vor allem wie viel Angst in diesem System herrscht – und zwar bei Schülern, Eltern und Lehrern.
Der Blog explodiert:
Vor allem seit der letzten Woche explodiert der Blog, was mich sehr freut, weil ich ja vor allem eine öffentliche Diskussion auslösen wollte. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es 399 Beiträge. Das freut mich sehr. Einige sind besonders fleißig unterwegs. Daher einmal ein Dankeschön an die Top Five Blogger:
1. profundi
2. inlinzbeginnts
3. altlehrerin
4. future
5. marinal
Was mir weniger gefällt ist der abwertende, teilweise verletzende Ton, den einige wenige in den Blog einbringen. Anspielungen wie „SS“, oder Beschimpfungen wie „Klugsch… „ und „Idioten“ usw. haben auf diesem Blog nichts verloren. Beiträge, die nicht dem üblichen Umgangston entsprechen, oder pauschale Beleidigungen (und die Repliken darauf) werden daher auch konsequent gelöscht
Wieder ein Wort an die Fraktion der Verschwörungstheoretiker:
Wenn ich derzeit an irgendetwas in meinem Leben keinen Mangel habe, dann an E-Mails, die ich bekommen. Ich schreibe mir daher keine selbst und publiziere auch nicht unter verdecktem Namen auf meinem eigenen Blog. Im Gegensatz zu manchen besonders heftigen Kritikern schreibe ich ausschließlich unter meinem Namen und nicht unter einem Pseudonym.
Eine Frage kann ich meinen Kritikern nicht ersparen: Woher kommt Ihre große Angst sachlich über die von mir gemachten positiven Beispiele zu diskutieren. Warum verteidigen Sie einen Status quo in unserem Schulsystem, der nicht zu verteidigen ist?
Ist es wirklich so vermessen zu fordern, dass 100 Prozent der österreichischen Schüler nach neun Jahren Schule zumindest Lesen und Schreiben können? Derzeit sind 21 Prozent der Fünfzehnjährigen defacto Analphabeten!
Wollen wir uns tatsächlich damit zufrieden geben, dass es vor allem in der AHS Oberstufe nicht möglich ist, das geforderte Wissen bei Prüfungen im regulären Unterricht zu lernen. Derzeit braucht jeder zweite AHS Schüler Nachhilfe!
In den nächsten Wochen werden wieder ca. 37.000 Schülerinnen und Schüler erfahren, dass sie ihr Klassenziel nicht erreicht haben. Sind sie alle selber Schuld?
Sollen weiter Kinder schon am Beginn ihrer Schullaufbahn ständig das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie zu dumm für die Schule sind, nur weil sie an Legasthenie oder anderen Lernstörungen leiden?
Jeder kann natürlich eine andere Meinung zu meinen Thesen haben, aber die aufgezeigten Fakten sind nicht widerlegbar.
Von positiven Beispielen lernen:
In meinem Buch und auch auf meinen Blogs zeige ich immer wieder positive Beispiele von Schulen in Österreich aber auch im Ausland, die versuchen es besser zu machen. Interessanter Weise lösen meine Positivbeispiele aber ebenfalls Ängste bei den wenigen totalen Veränderungsverweigerern aus. Da wird dann irgendwo im Web ein Zitat von jemandem entdeckt, der sich negativ über eine dieser Schulen äußert. Der Versuch, die Key-School, die auf den Konzepten von zwei der führenden Wissenschaftern der Welt aufgebaut ist zu diffamieren, ist grotesk. Dazu werde ich in einem meiner kommenden Blog-Beiträge Stellung nehmen.
Und wenn man wie bei der von mir angeführten Nueva School nichts findet, dann versucht man sich mit dem Hinweis, dass das eine Privatschule sei zu retten. Natürlich sollen wir von den besten lernen. Ein Prinzip, das zum Beispiel in der Wirtschaft, in der Kunst und im Sport schon lange etabliert ist. Daher trete ich auch für einen intelligenten Wettbewerb zwischen den Schulen ein. Engagierte und leistungsorientierte Menschen fürchten sich nicht vor der Vergleichbarkeit. Im Gegenteil: Sie wollen, dass ihre besonderen Leistungen endlich wahrgenommen und gewürdigt werden.
Ich möchte mich umso mehr bei all jenen bedanken, die mir in Mails und Briefen positive Beispiele schicken, die beweisen, dass die Schule von morgen schon heute an vielen Schulen in Österreich stattfindet. Und ich werde auch nicht aufhören diesen jene Aufmerksamkeit zu verleihen, die sie verdienen. Das alles in dem Wissen, dass je mehr man Neues wagt, natürlich auch immer der Gefahr des Scheiterns ausgesetzt ist. Nur wer nichts riskiert, macht keine Fehler. Daher zum Abschluss ein Zitat von Tom Peters, das ich allen Menschen in unseren Schulen widmen möchte, die sich nicht mit dem Mittelmass zufrieden geben:
Traue dich! Engagiere dich! Scheitere! Steh wieder auf! Versuche es nochmals! Scheitere wieder! Versuche es nochmals!
Aber höre niemals auf, weiterzugehen. Der Fortschritt für die Menschheit wird von jenen gemacht, die diesen Kampf aufnehmen. Nicht von jenen furchtsamen Seelen, die sich von Traditionen unterdrücken lassen, die Verantwortung scheuen, die Schuld immer bei anderen suchen und ständig Angst davor haben, scheinbar mächtigen Autoritäten zu missfallen.
Wie immer freue ich mich auf ihre engagierten und - respektvollen - Kommentare.
Andreas Salcher
27. April
Liebe Blogger,
diesen Kommentar schreibe ich aus den USA, wo ich gerade wieder einige herausragende Denker für mein CURRICULUM PROJECT - Creating the Schools of Tomorrow treffe und auch einige besonders innovative Schulen besuche.
Heute hatte ich das Privileg, dass mir Mihaly Csikszentmihalyi, der Entdecker des flow, fast einen ganzen Tag seiner wertvollen Zeit geschenkt hat. Der führende Glücksforscher Csikszentmihalyi hat gemeinsam mit dem Harvard Professor Howard Gardner die Key School in Indianapolis initiiert, die auf den wissenschaftlichen Prinzipien der beiden, flow bzw. dem Konzept der multiplen Intelligenzen, aufbaut. Das faszinierende am Erfolg der Key School ist, dass die Schüler nicht nach Leistung sondern nach dem Zufallssystem ausgewählt werden. Trotzdem erbringen die Schüler seit vielen Jahren unter allen Schulen in Indianapolis, inklusive der teuersten Privatschulen, sowohl in den klassischen Schuldisziplinen als auch z. B. in sozialer Kompetenz die besten Leistungen. Die Key School, die eine öffentliche Schule ist, selektiert aber sehr genau die Lehrer, was ein weiterer Beweis dafür ist, welchen entscheidenden Einfluss ausgezeichnete Lehrer auf die Talententwicklung haben. Ich habe die Key School in meinem Buch beschrieben.
Csikszentmihalyi hat mir heute auch Details einer noch unveröffentlichten Studie von ihm verraten. In dieser Studie wurden 1.200 Schüler und Lehrer der zehn besten Schulen der USA nach ihren wichtigsten Erwartungen gefragt, die sie an die Schule haben. Bei den Schüler kam an erster Stelle der Antworten auf die Frage, was sie sich nach vier Jahren Schulbesuch erwarten, ein klares Ergebnis: "Ich möchte eine glücklicherer Mensch sein." Bei den befragten Lehrern kam diese Antwort auf die Frage, was ihrer Meinung nach das wichtigste Ziel für die Schüler sei, an 17. und letzter Stelle. Das zeigt meiner Meinung nach eindrucksvoll, wie wichtig eine Diskussion über die Werte ist, die in unseren Schulen vermittelt werden sollen. Und diese Diskussion muss eindeutig den bisherigen Fächerkanon, der seit 75 Jahren völlig unverändert ist, sprengen.
In San Francisco besuchte ich die Nueva School. Besonders beeindruckten mich zwei Dinge: Erstens die Architektur - die Klassenzimmer sehen eher wie Wohnzimmer als wie traditionelle Klassenzimmer aus. Es gibt auch ein Innovations-Laboratorium - das sollte eigentlich so selbstverständlich wie ein Turnsaal an jeder Schule sein. Und zweitens die angstfreie Atmosphäre an der Schule. Als die Direktorin der Schule eine Tour mit mir machte, fiel mir auf, dass, wann immer wir einen Raum betraten, in dem gerade Unterricht statt fand, veränderte sich die Atmosphäre in der Klasse weder bei den Schülern noch bei den Lehrern auch nur ein bisschen. (Bei uns in Österreich verändert sich das "Raumklima" in fast jeder Klasse sofort, wenn die Direktorin eine Klasse betritt.)
Ein paar gut gemeinte Worte an die paar Verschwörungstheoretiker, die sich seit einiger Zeit mit großem Engagement in meinen Blog einbringen: Ich bin ein großer Freund von Dan Brown und seinen spannenden Verschwörungstheorien im "Da Vinci Code". Und ich kann sein nächstes Buch "The Salamon Key" nicht erwarten. Nur liebe Verschwörungstheoretiker, bei aller Liebe zu Dan Brown, hinter dem TALENTIERTEN SCHÜLER UND SEINE FEINDE steht weder eine raffinierte Strategie eines Unternehmensberaters noch schreibe ich mir selbst Mails oder verstecke mich hinter fiktiven Namen auf meinem eigenen Blog. Ehrlich gesagt, hätte ich nicht die Zeit dazu. Ich ließ bisher drei Mails von meinem Blog löschen, weil sie gegen meine Prinzipien von politischer Korrektheit verstoßen: sie richteten sich alle sehr aggressiv gegen Lehrer. Kritische Mails gegen mich bleiben alle in volle Länge und Härte stehen. Der bisher große Erfolg meines Buches basiert nicht auf Manipulation sondern ganz einfach darauf, dass das Buch einen tabuisierten Bereich unserer Gesellschaft genau getroffen hat. Wann immer im Prinzip allen durchaus bekannte, aber bisher verdrängte Tatsachen öffentlich ausgesprochen werden, führt das zu heftigen Reaktionen.
Allen Blogger, die mit viel Fantasie über meine Tätigkeit als Unternehmensberater spekulieren, sei eines gesagt: Im Gegensatz zu unserem Schulsystem, das Lehrer zwangsverteilt, entscheiden über einen Unternehmensberater nur die Kunden. Wer schlecht ist, und der Prozentsatz schlechter Unternehmensberater ist zweifellos eher noch höher als der von ungeeigneten Lehrern, erhält einfach keine Aufträge mehr und daher löst sich das Problem der Totalversager im Gegensatz zu unseren Schulen meistens von selbst.
Manche Blogger machen mir den Vorwurf, dass ich noch nie eine Klasse unterrichtet hätte und manche trauen mir nicht zu, auch nur eine Stunde Unterricht durchzuhalten. Nun, ich unterrichte in der Sir Karl Popper Schule einmal im Jahr zwei Klassen eines Jahrgangs gemeinsam. Der verpflichtende Maturagegenstand "Koso" (Kommunikation und Soziale Kompetenz) ermöglicht mir das. Ich machen dann Kommunikationsübungen mit den Schülern, die ich sonst mit Managern in meinen Seminaren mache. Und ich bin jedes Mal über die großer Energie und von der hohen Auffassungsgabe der Popperschüler begeistert. Dass Unterrichten sehr anstrengend ist, kann ich durchaus bestätigen. Es ist jedenfalls nicht so, dass mir die Realität eines Klassenzimmers völlig fremd ist, aber mir ist natürlich bewusst, dass zwei Stunden an der Popper Schule etwas völlig anderes sind als jeden Tag zu unterrichten. Umso größer ist mein Respekt für alle Lehrer, die jeden Tag mit der richtigen Einstellung in ein Klassenzimmer gehen, und oft gegen die Widrigkeiten eines schlechten Systems, großartigen Unterricht bieten. Die Entscheidung darüber, ob in einer Klasse jeden Tag Lernen als ein gemeinsames spannendes Erlebnis stattfindet oder ob Schule grauer Alltag sein muss, wie ein Blogger meint, diese Entscheidung trifft aber jeder Lehrer.
An dieser Stelle möchte ich auch den vielen Lehrern danken, die mir eine Vielzahl von sehr konkreten Verbesserungsvorschlägen geschickt haben. Ich bekomme auch sehr gut dokumentierte Projekte, die zeigen, was einzelne Lehrer an Österreichs Schulen für innovativeren Unterricht leisten.
Zum Abschluss noch ein Wort an die Eltern: Noch immer erhalte ich täglich eine Vielzahl von teilweise erschreckenden Fällen, wie mit Kindern in unserem Schulsystem umgegangen wird. Ich lese jeden einzelnen dieser Fälle und denke intensiv darüber nach, wie ich dem große Vertrauen, das mir entgegengebracht wir, gerecht werden kann. Mein Ziel ist es, den notwendigen öffentlichen Druck zu entwickeln, damit auch aus unseren Schulen lernende Systeme werden können, die aus Fehlern lernen können. Ich überlege derzeit gemeinsam mit einigen Freunden intensiv, wie wir das riesige Echo auf mein Buch, in konkrete Verbesserungen für unsere Schulen umsetzen können. Dass das nicht ganz einfach werden wird, ist mir bewusst.
Nochmals vielen Dank an alle, die sich die Mühe machen mir zu schreiben.
Andreas Salcher
14. April
Liebe Blogger,
ich bin ganz ehrlich überwältigt von den vielen Reaktionen die DER TALENTIERTE SCHÜLER UND SEINE FEINDE bisher ausgelöst hat. Ich schreibe diesen Kommentar am Sonntag, den 13. April knapp vor Mitternacht. Zu diesem Zeitpunkt gibt es 107 Beiträge auf dem Blog, das entspricht ungefähr einem Zehntel der Reaktionen, die ich als persönliche E-Mails erhalte. Unglaublich, dass mein Buch erst vor fünf Wochen erschienen ist. Freunde von mir, die sich auf diesem Gebiet weit besser auskennen als ich, sagen mir, dass diese ca. 900 persönliche E-Mails und Briefe die ich bisher erhalten habe sicher nochmals mit einem Faktor von 10 multiplizierbar sind, wenn man alle Menschen berücksichtigt, die bisher nicht die Zeit fanden, mir persönlich zu schreiben. Soviel Zustimmung macht dankbar und gibt viel Energie und Kraft. Umso mehr möchte ich mich einmal bei allen bedanken, die mir bisher ihre Meinung geschickt haben, fast alle waren euphorisch bis sehr positiv, ich lese aber selbstverständlich auch die kritischen Mails. Ich ersuche alle, die mir schreiben um Verständnis dafür, dass es manchmal sehr lange dauert bis ich antworte, aber ich bin eine „One Man Army“ ohne Infrastruktur und daher braucht das alles seine Zeit.
Was mich besonders freut ist, dass ich immer mehr Reaktionen von Menschen erhalte, die mein Buch auch wirklich gelesen haben. Und deren sehr positive Resonanz gibt mir große Hoffnung, dass die Zeit reif ist, Veränderungen tatsächlich zu erreichen. Ich möchte auch völlig klar sagen, dass ich mir der Verantwortung gegenüber meinen Lesern sehr bewusst bin. Ich arbeite bereits mit Freunden an konkreten Vorschlägen, wie wir bessere Schulen sofort und ohne große Kosten erreichen können, denn darum geht es mir wirklich.
Zum Abschluss wie immer ein Wort an die talentierten Lehrer: Im Gegensatz zu manchen öffentlichen Darstellungen erhalte ich auch von Lehrern zu 90 Prozent sehr positive Reaktionen, sowohl per Mail als auch bei meinen Lesungen. Und darauf bin ich sehr stolz. Nur eine „Koalition“ der engagierten Lehrer, Schüler und Eltern wird jenen Druck entwickeln, der unser leider völlig erstarrtes Schulsystem öffnet. In der kommenden Woche bin ich auf Lesetour in Innsbruck, Linz und Salzburg und freue mich, mit vielen interessierten Menschen über bessere Schulen zu diskutieren – Schulen die unsere Kinder verdienen.
Andreas Salcher
25. März 2008
Liebe Blogger,
ich bemühe mich ehrlich mit der Welle von Reaktionen die ich bekomme sehr respektvoll umzugehen. Ich lese jedes der ca. 50 bis 150 Mails die ich täglich bekomme, habe aber keine Möglichkeit diese sofort individuell zu beantworten. Das was Sie hier veröffentlicht am Blog sehen ist jedenfalls nur die Spitze des Eisberges der Mails, die ich täglich bekomme, worüber ich mich natürlich sehr freue.
Die Fälle, die mir zum großen Teil sehr gut dokumentiert geschickt werden, zeigen mit welcher Ignoranz und Gleichgültigkeit in unserem Schulsystem mit den Talenten unserer Kinder umgegangen wird. Um eines ganz klar zu sagen: 99 Prozent der Reaktionen die ich erhalte sind zustimmend. Die Mehrzahl stammt von verzweifelten Eltern, es sind aber auch viele engagierte Lehrer dabei, die sich darüber beschweren wie ihre Initiativen abgeschmettert werden, wie oft nach wie vor das richtige Parteibuch vor der Qualifikation kommt oder wie kalt und desinteressiert die Schulbürokratie mit Lehrerengagement umgeht. Würde ich das Buch heute nochmals schreiben, würde ich vieles noch härter formulieren.
Ich möchte kurz auf einige der häufigsten Fragen einzugehen:
Warum habe ich dieses Buch geschrieben?
Die PISA Ergebnisse haben eine Fachdiskussion zwischen Experten und eine Schuldzuweisungsdebatte zwischen den politischen Parteien ausgelöst. Die Talente unserer Kinder sind dabei aber wieder nicht vorgekommen. Ich will eine Wertediskussion über den Umgang mit den Talenten in unserer Gesellschaft auslösen. Die Tatsache, dass 21 Prozent der 15 Jährigen nach neun Jahren Pflichtschule nicht sinnerfassend lesen können wird offensichtlich als Kollateralschaden unseres Schulsystems einfach zu Kenntnis genommen – und nicht als bedrohliche intellektuelle Katastrophe für unser Land. Und ich will vor allem das Tabu angreifen, dass alle die im Schulsystem scheitern selbst schuld sind.
Die Frage nach meinen wirtschaftlichen Interessen, halte ich für legitim und ersuche alle die Zweifel an meiner Motivation haben einfach meinen Lebenslauf zu studieren. Ich habe mich seit meinem 16. Lebensjahr als Schülervertreter für bessere Schulen eingesetzt, die Sir Karl Popper Schule mitbegründet und viele andere idealistische Initiativen wie z. B. die Waldzell Meetings im Stift Melk initiiert. Das Buch, dem ich die letzten sechs Monate meiner Zeit gewidmet habe, verstehe ich als Startschuss für eine Debatte für bessere Schulen. Und diese Debatte ist erst am Anfang.
Habe ich mit dem riesigen Echo gerechnet?
Victor Hugo hat einmal gesagt: „Nichts ist so mächtig, wie eine Idee deren Zeit gekommen ist.“ Ich bin davon überzeugt, dass sich vor allem die Eltern den Umgang mit den Talenten ihrer Kinder in der Schule einfach nicht mehr länger gefallen lassen. Auch immer mehr Lehrer leiden unter einem Schulsystem, dessen Wurzeln in der industriellen Massenproduktion liegen und das überhaupt keinen Raum und keine Zeit für die individuelle Förderung von Schülern bietet. Und genau von den Schülern wird auch die größte Veränderungskraft ausgehen. Es freut mich daher besonders, dass das Buch DER TALENTIERTE SCHÜLER UND SEINE FEINDE in vielen Klassen unter den Bankreihen als „Untergrundliteratur“ gelesen wird. In vielen Lehrerzimmer ebenfalls, wie ich höre – und das ist sehr gut so.
Wie geht es weiter?
Wichtig erscheint mir, jetzt einmal wirklich gemeinsam einen Befund darüber zu erstellen, warum wir so mit den Talenten der Schüler und der Lehrer umgehen. Um das auf den Punkt zu bringen, war offensichtlich jemand außerhalb des Systems notwendig. Ich bin weder Lehrer, wie irrtümlich berichtet wurde, noch Schulexperte – ich bin vielleicht ein Experte dafür tabuisierten Bereichen in unserer Gesellschaft jene Aufmerksamkeit zu verschaffen, die sie verdienen. Es geht nicht um die Suche nach Schuldigen sondern um eine Wertedebatte, die wir aber in der notwendigen Klarheit führen müssen. Diese Debatte über die Talente jedes einzelnen Kindes kann am Frühstückstisch jeder Familie und in jedem Klassenzimmer begonnen werden. Es geht darum unsere Perspektiven zu verändern, uns Zeit zu nehmen und einander zuzuhören. Jede Minute, über die jetzt über Talente gesprochen wird, ist eine gewonnene Minute. Die Lösungen sind ganz offensichtlich, wir müssen nur genau hinschauen, dann wird es zu jenen kleinen Veränderungen und Schritten kommen, die auf einmal Öffnung, Bewegung und Freude in unsere Schulen bringen. Ich werde auch einige der vielen Vorschläge, die ich bekommen habe öffentlich anbieten – zur rechten Zeit.
Last but not least, liebe Lehrer:
Im Schlusskapitel meines Buches steht: „Wenn wir an Lehrer denken, dann dürfen wir nicht nur verschrobene Besserwisser mit pedantischem Hang zum Irrelevanten vor unserem geistigen Auge haben, sondern vor allem leidenschaftliche, gebildete Persönlichkeiten, die wissen, was man machen kann, damit es einem besser geht. Anständige Menschen werden von einem Leben in Anstand angezogen. Viele talentierte Schüler könnten eines Tages zu guten Lehrern statt zu gut bezahlten Managern, Anwälten oder Bankern ausgebildet werden. Das Geld fehlte ihnen nicht, würden sie mit Respekt bezahlt.
Wenn unsere Gesellschaft mehr Respekt für die Lehrer hätte, dann würden viel mehr unserer Besten Lehrer werden. Die guten Lehrer würden durch Anerkennung motiviert und hätten damit mehr und länger Kraft. Und dann bekämen alle Schüler die Lehrer, die sie verdienen, auch die talentierten.“
Liebe Lehrer, man bezahlt Euch, vor allem am Beginn Eurer Karriere mies, man verweigert Euch die gesellschaftliche Anerkennung die Ihr verdient und man behindert Euch mit sinnlosen Vorschriften und ahnungslosen Vorgesetzten. Nur eines kann man Euch nicht nehmen: Die Entscheidung darüber mit welcher Einstellung Ihr jeden Tag in die Schule geht und um die Lebenschance jedes Kindes kämpft, für das Ihr Verantwortung habt.
Nochmals vielen Dank für Ihre Zeit, die Sie sich nehmen, um mir Ihre Meinung zu schicken.
Andreas Salcher
11. März 2008
Liebe Blogger,
zunächst möchte ich mich bei allen bedanken, die sich die Zeit nehmenteilweise sehr ausführlich zu dem wohl wichtigsten Thema der Zukunft, der Entdeckung und Förderung der Talente aller Kinder, Stellung zu nehmen. Ich freue mich natürlich über die sehr vielen zustimmenden Reaktionen aber ich schaue mir auch alle kritischen sehr genau an. Mir ist natürlich bewusst, dass es mir jetzt wie fast allen Autoren geht, die ein Buch über ein Tabuthema schreiben und damit heftige Reaktionen gleich zu Beginn auslösen.
Derzeit diskutieren natürlich viele über das Buch, die es noch gar nicht gelesen haben (können). Jeder der das Buch gelesen hat, muß mir zwei Dinge zugestehen:
1. Meine Anklage ist eben nicht pauschal, sondern sehr spezifisch. Das einzige was in meinem Buch pauschal ist, ist der Anspruch den ich erhebe:
Die Schule hat sich den Schülern anzupassen und nicht die Schüler der Schule. Und jetzt einmal ganz ehrlich. Wenn wir hier gemeinsam eine Organisation neu erfinden würden, würden wir dann unsere Kinder knapp nach sechs Uhr in der Früh aus dem Bett reißen, in Gruppen von bis zu 36 in Klassen sperren, alle 50 Minuten läutet die Glocke, drei Monate sind Ferien, den Rest der Zeit stressen sich Kinder, Eltern und Lehrer zu Tode. Würde wir Schule heute wirklich wieder genau so machen?
2. Das Buch ist ein kein Anti-Lehrer Buch sondern ein flammendes Plädoyer für den wichtigsten Zukunftsberuf mit vielen Heldengeschichten über Lehrer. Zu meinem Vorwurf, dass gerade die besten und die besonders engagierten Lehrer in unserem Schulsystem nicht gefördert sondern massiv behindert werden stehe ich.
Mit großer Freude darüber, dass endlich einmal die wirklichen Themen diskutiert werden freue ich mich auf Ihre Meinungen.
Andreas Salcher
Liebe Blogger,
Ich gebe zu, mein eigener Blog macht süchtig. Manchmal kann ich, selbst wenn ich todmüde nach einer Lesung um Mitternacht nach Hause komme, der Versuchung nicht widerstehen, die neuesten Einträge zu lesen.
Über die Verschwörungstheorie und die Macht der Dummheit
Besonders viel Freude machen mir natürlich die Verschwörungstheoretiker, die anhand von Stil- und Fehleranalysen genau erkennen, hinter welchem Pseudonym ich mich gerade auf meinem eigenen Blog verstecke. Ich bin ein großer Verehrer von Arthur Schnitzlers Komödie „Fink und Fliederbusch“. Da der liberale Fliederbusch auf meinem Blog mehr als gut vertreten ist, wäre der Reiz für mich sehr groß, dem reaktionären Fink meine Stimme zu leihen. Ich kann allen versichern, dass - wenn ich mich tatsächlich hinter eine Figur auf meinem Blog verbergen würde - dies mit Sicherheit einer aus der „Profundi-Fraktion“ wäre, um den Blog weiter anzuheizen. Wenig Sinn würde es dagegen machen jener großen Mehrheit, die meine eigenen Positionen ohnehin sehr eloquent verteidigt, eine weitere Stimme hinzuzufügen. Ich gestehe aber ganz offen, dass ich selbst mit viel Fantasie nicht zu jener Aufdeckungsarbeit fähig wäre, die von der „Profundi-Fraktion“ auf diesem Blog geleistet wird. Diese Meister der objektiven Recherche fordern ja zu Recht von mir, dass ich endlich ihre Leistungen würdige und zu ihren unwiderlegbaren Beweisen Stellung nehme. Daher möchte ich allen Blogger zwei meiner absoluten Favoriten nicht länger verschweigen:
inlinzbeginnts ist der Beweis zu verdanken, dass sämtliche Bestsellerlisten aller Zeitungen und Magazine in diesem Land, die mein Buch seit seinem Erscheinen hartnäckig auf den Plätzen 1 bis 3 führen, Teil einer großen Verschwörung sind. Durch scharfes Beobachten des riesigen Stapels meines Buches in der Buchhandlung Thalia in Linz fiel ihm auf, dass jedes Mal, wenn er heldenhaft in meinem Buch geblättert hat, kein einziges Buch gekauft wurde. Dass die größte Linzer Buchhandlung ihre beste Verkaufsfläche mit dem TALENTIERTEN SCHÜLER UND SEINE FEINDE zupflastert, zeigt nur, dass auch die Buchhändler ungeachtet ihrer eigenen ökonomischen Interessen Teil dieser Verschwörung sind.
Tief beeindruckt hat mich andacava, der mit einer bestechenden logisch-mathematische Meisterleistung bewiesen hat, dass 95 Prozent mit unserem Schulsystem hoch zufrieden sind, denn nur die 5 Prozent Unzufriedenen hätten ja mein Buch gekauft. Entwaffnend ist vor allem der kühne Schluss, dass vor allem jene Mehrheit der Österreicher, die überhaupt nie oder nur maximal ein Buch im Jahr kaufen, damit ihre große Zufriedenheit mit dem Schulsystem ausdrücken wollen. Ganz besonders gilt dies natürlich für jene 21 Prozent de facto Analphabeten, die uns die letzte EU-Studie bescheinigt.
Buchtipp an dieser Stelle, ist der Klassiker von André Glucksmann: Die Macht der Dummheit
All jenen, die an einer ernsthaften Auseinandersetzung über unser Bildungssystem interessiert sind, sei versichert, dass ich der Versuchung die Aufdeckungsleistungen der „Bunkerboys“ auf diesem Blog einmal zu würdigen nicht so bald wieder nachgeben werde. Der polemische Austausch von Unfreundlichkeiten bringt uns nämlich nicht weiter. Es ist nur zu hoffen, dass die von ihrer eigenen Großartigkeit so überzeugten Lehrer der Profundi-Fraktion ihre Aggressivität nicht an wehrlosen Schüler auslassen. Ein gutes Mittel dagegen wäre, sich einmal einem anonymen Feedback ihrer Schüler zu stellen.
Ich denke inzwischen intensiv darüber nach, wie man alle Interessierten, die gute und konstruktive Vorschläge machen, in einen produktiveren virtuellen Dialog einbinden kann. Denn dass unser Schulsystem dringenden und radikalen Reformbedarf hat zeigt die traurige Realität am Ende des Schuljahres.
Soziale Ungerechtigkeiten in unserem Schulsystem
Wenn am Ende dieses Schuljahres wieder ca. 37.000 Schüler offiziell bestätigt bekommen, dass sie zu dumm für unser Schulsystem sind, dann ist das - unabhängig von ihrer unbestreitbaren eigenen Verantwortung - vor allem ein schweres Versagen unseres Schulsystems. Ich erlaube mir zwei Fragen zu stellen:
Wie viele Lehrer haben heuer eigentlich ihr Klassenziel nicht erreicht? Werden sie im Sommer ihre pädagogischen Qualifikationen nachschulen und wird das im Herbst auch überprüft werden?
Wie viele AHS Oberstufen-Schüler würden noch durchfallen, wenn nicht jeder zweite von ihnen Nachhilfeunterricht erhielte?
Der sehr fundierte Bericht der Expertinnenkomission von Bernd Schilcher analysiert im Kapitel über Qualität - Gerechtigkeit – Effizienz glasklar wie sehr unser Schulsystem sozial Benachteiligte diskriminiert und hohe Drop-out Raten produziert. Drop-out - ein höfliches Wort für zerstörte Lebenschancen junger Menschen. Den Bericht zum downloaden: http://www.bmukk.gv.at/schulen/bw/nms/ek.xml
Die Fakten sind sehr eindeutig und zeigen einen hohen Handlungsbedarf. Umso mehr freut mich, dass, wann immer ich alleine oder zusammen mit Bernd Schilcher oder Kurt Scholz zu Diskussionen in ganz Österreich eingeladen werde, fast immer zwischen 150 und 400 Menschen kommen, viele von ihnen engagierte Eltern und Lehrer. Sie alle wollen, unabhängig von ihrer politischen Überzeugung, gemeinsam etwas zum Besseren verändern.
THE CURRICULUM PROJECT und Initiativen für eine bessere Schule
Ich lese natürlich sehr genau die Vorschläge auf diesem Blog, was man tun könnte, um nicht nur in der Diskussion stecken zu bleiben. Sehr gut gefällt mir die Idee eine große Konferenz mit betroffenen Schülern, Lehrern, Eltern und internationalen Experten zu veranstalten. Meine Erfahrung nach vier Jahren Waldzell hat mir aber gezeigt, wie aufwendig und auch kostenintensiv eine wirklich gut gemachte Konferenz mit internationaler Beteiligung ist. Die Vorlaufzeit sollte mindestens ein Jahr sein, es soll sich aber niemand abschrecken lassen, der so etwas plant. Ich habe eher vor im Herbst einige sehr einfache Vorschläge zu machen, die an jeder interessierten Schule mit eigenen Mitteln sofort umgesetzt werden können. Wenn sich die daran Beteiligten dann vernetzen und ihre Erfahrungen austauschen könnten daraus eine oder mehrere Basisbewegungen entstehen. Dieser Blog bzw. ein entsprechend moderiertes Forum könnte dabei Drehscheibenfunktion übernehmen.
Wie immer wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Bloggen.
Andreas Salcher
26. Mai
Liebe Blogger,
zunächst empfehle ich allen Interessierten den umfassenden und sehr differenzierten Artikel Wir machen Schule in der aktuellen Maiausgabe des Geo. Er zeigt, dass Schulreform an jeder Schule und Klasse beginnen kann, wirbt für ein neues Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern und zeigt die Grenzen von verordneten Schulreformen auf.
Soll Schule eine Insel sein?
Wie auch im Blog angesprochen war die Diskussion am 16. Mai an der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule in Strebersdorf eine besondere interessante. Sie hat die unterschiedlichen Erwartungshaltungen an Schule und Lehrer und auch die dahinter stehenden Werthaltungen in einer intellektuell und fachlich sehr hoch stehenden Diskussion auf den Punkt gebracht. Gerade weil das Publikum (logischer Weise) fast nur aus Lehrern bestand, zeigte sich deutlich, wie sehr auch bei Lehrer diese Diskussion polarisiert.
Die von mir, Bernd Schilcher und führenden Lernforschern wie z. B. dem MIT Professor Peter Senge vertretene These sagt, dass unser Schulsystem in seiner heutigen Form erst mit dem Beginn der Industrialisierung geschaffen wurde und daher eine relativ junge Institution ist. Davor wurde berufliches Wissen vom Meister eines Faches, also einem Goldschmied, einem Bäcker, einem Maler oder einem Hufschmied an seinen Lehrling in einer sehr persönlichen Lernbeziehung weitergegeben. Damit der Lehrling aber nicht nur das Wissen seines Meisters kannte, machte er sich dann als Geselle auf die Reise, um auch von anderen Meistern zu lernen, bevor er selbst einer werden durfte. Die Trennung in fachliche Kompetenz in einem Beruf und in die pädagogische Vermittlungskompetenz fand eben erst mit der industriellen Revolution statt. Daher fehlte der Schule von Anfang an die Einbindung in unsere Gesellschaft, die zum Beispiel in der Wirtschaft Jahrhunderte lang durch die Bauern, Märkte, Handwerker, Kaufleute, Handelsschiffe und Banken immer gegeben war. Die Wirtschaft war immer Teil unseres Lebens so wie Sport, Technik oder Kultur. Genau diese Verflechtung mit unserer täglichen Welt brauchen die Schulen in Zukunft, wenn sie nicht zu Museen einer längst vergangenen Zeit verkommen wollen. Und dazu müssen wir Mauern niederreißen. Die Schule von morgen muss sich endlich als Teil unserer Gemeinschaft und die Gemeinschaft muss sich als wichtiger Ort des Lernens verstehen. Dieser Werthaltung folgend trete ich auch massiv dafür ein, dass die Schüler, und sonst niemand der Kunde im Schulsystem sein sollten.
Die Gegenthese, die bei der Diskussion in Strebersdorf vertreten wurde, sieht Schule eben als bewusstes Gegensystem zu unserer Gesellschaft, die eine quasi Inselfunktion haben soll und sich daher nur sehr langsam verändern kann und soll. Der Lehrerberuf sei eben mit keinem anderen vergleichbar, daher darf er auch nicht mit den in unserer Gesellschaft üblichen Bewertungsmassstäben gemessen werden. Ein guter Lehrer wisse selbst, was am besten für seine Schüler sei, und die Unkündbarkeit von Lehrern sei eine ganz wichtige Schutzfunktion. Lernen mache eben prinzipiell nicht Freude, sondern ist harte Arbeit für Schüler und Lehrer. Daher sei auch das aus der Wirtschaft übernommene Denken in Kundenbedürfnissen in der Schule verfehlt.
Liebe Blogger, die Frage die sich stellt ist, wie weit muss, soll sich die Schule in Zukunft der Gesellschaft öffnen? Diskutieren wir doch einmal ohne Polemik über diese Frage in dem aufgestellten historischen Kontext.
Noten abschaffen?
Immer wieder werde ich gefragt, bzw. wird mir auch auf diesem Blog unterstellt, dass ich für die Abschaffung der Noten eintrete. Ich habe das weder mit einem Wort in meinem Buch noch in der Öffentlichkeit je gefordert. Ich bin selbst ein sehr leistungsorientierter Mensch und ein großer Anhänger der flow-Theorie von Mihaly Csikszentmihalyi. Diese besagt, dass der Mensch dann die größten Glücksgefühle erzielen kann, wenn er im richtigen Ausmaß gefordert wird und auch regelmäßiges und vor allem unmittelbares Feedback erhält. Daher habe ich kein Problem mit Noten, so sie zumindest einigermaßen plausibel sind, was bei der Bewertung von Deutschschularbeiten nach einem Lehrerwechsel oft eindeutig nicht der Fall ist. Ich bin daher aber auch für ein regelmäßiges Feedback der Schüler an die Lehrer. Ein Thema, das bei manchen Lehrern ungemeine Ängste auslöst. Der Prozess des wechselseitigen Feedbacks setzt sich in unserer Gesellschaft immer mehr durch, und wird daher auch vor den Schulen nicht halt machen. Wenn wir Sechzehnjährige wählen und somit über die Zukunft des Landes mitentscheiden lassen, dann werden wir ihnen wohl kaum die Verantwortung absprechen können, ihre Lehrer zu bewerten. Lehrerfeedback wird daher kommen. Die Frage ist nicht, ob, sondern wann und in welcher Form.
Eine intensive Woche liegt vor uns
Am Montag, den 26. Mai bin ich bei der WBS (Wiener Gesellschaft für Bildungspolitik und Schulmanagement) eingeladen, die von Walter Strobl, dem derzeit von der ÖVP gestellten Stadtschulratsvizepräsidenten, gegründet wurde. Am Dienstag, den 27. Mai geht es zur SPÖ-Hernals, wo mich Josef Cap, rote Bezirksschulinspektoren und Lehrergewerkschafter erwarten werden. Am Mittwoch, den 28. Mai bin ich in der Stadtbuchhandlung Liezen und am Donnerstag, den 29. Mai diskutiere ich dann in der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz mit Bernd Schilcher und Kurt Scholz. Das wird wohl eine harte Tour für jene offensichtlich professionellen Beobachter, die mich bei meinen Veranstaltungen begleiten, jedes meiner Wort aufschreiben, um Widersprüche zu entdecken und jeden Besucher zählen um dann genau zu wissen ob bei einer Veranstaltung tatsächlich 400 oder 300 im Publikum waren. Alle, die zumindest bei einer meiner Veranstaltungen dabei waren, werden mir bestätigen: Die Säle sind voll, es kommen viele Menschen, die mit mir diskutieren wollen – und das macht mir viel Spaß und Freude.
Der Blog explodiert (Teil 2)
Dieser Blog bewegt sich mit großer Geschwindigkeit in Richtung 800 Beiträge, mein Blog im Kurier http://www.kurier.at/interaktiv/blog/schueleranwalt/ kommt gerade so richtig in Bewegung und die zwei bis dreifache Anzahl an Reaktionen erhalte ich nach wie vor als persönliche E-Mails. Im Kurier ist es - entgegen aller schon vorab lautstark geäußerten Ängste - zu keinerlei öffentlichen Lehreranklagen oder gar Verleumdungen gekommen. Wenn Schulbehören bürokratische Argumente bei der Schulzuweisung über die Interessen der Schüler stellen oder wenn einzelne Lehrer den Legasthenieerlass des Unterrichtsministeriums hartnäckig ignorieren, dann zeigen wir das natürlich konsequent auf.
Fast alle der Reaktionen, die ich persönlich von Lehrer erhalte sind positiv, und auf den beiden Blogs überwiegt die Zustimmung bei weitem: Die meisten Lehrer leiden unter diesem System und wollen es dringend verändern. Das Feedback von Eltern und Schülern ist ausnahmslos positiv.
Bei der Analyse der Beiträge auf diesem Blog stelle ich drei unterschiedliche Motivationen fest:
1. Blogger, die vor allem inhaltliche Konzepte und Verbesserungsvorschläge austauschen und sachlich darüber mit Gleichgesinnten diskutieren wollen.
2. Blogger, die virtuelle Debatten und Streitgespräche über die Thesen meines Buches führen wollen.
3. Blogger, die einfach Dampf ablassen wollen.
Ich denke derzeit intensiv darüber nach, wie man diesen drei unterschiedlichen, und von mir respektierten Motivationen am besten sinnvoll gerecht werden kann. Für Vorschläge bin ich dankbar.
Andreas Salcher
13. Mai
Liebe Blogger,
ich bin seit 2. Mai nach meiner USA Reise wieder im Lande und toure intensiv mit Lesungen und Diskussionen durch Österreich. Einige Beispiele aus der letzten Woche, die zeigen, wie groß das Bedürfnis nach Veränderungen in unserem Schulsystem ist. Im Zeitraffer:
Dienstag, 6. Mai in der Da Vinci Schule in Hartberg, einer Privatschule, die ihren Schülern zum Beispiel im Lernfeld „Bionik“ den Zusammenhang von ökologischen Strukturen und technischer Umsetzung lehrt. Das IMAX Kino im Ökopark in dem die Veranstaltung stattfindet ist um 14.00 Uhr mit 350 Teilnehmern bis auf den letzten Sessel gefüllt. In der einstündigen Diskussion nach meiner Präsentation gibt es auch von den vielen anwesenden Lehrern fast einhellige Unterstützung zu den Thesen meines Buches.
Am Nachmittag diskutiere ich mit dem Leiter der Grünen Akademie Steiermark über ein konkretes Schulmodell und am Abend bin ich dann noch bei der Steirischen Volkspartei zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Auch dort stehen die Besucher bis auf den Stiegenaufgang. Die Diskussion ist sehr heftig.
Am Mittwoch den 7. Mai lese ich in der ÖBV Buchhandlung in Wien. Trotz strahlenden Wetters sind 200 Besuchern gekommen. Man hat mich gewarnt, dass ich an diesem Abend vor allem mit vielen Lehrern im Publikum rechnen müsse, die zu den Stammkunden dieser großen Schulbuchhandlung zählen. Das stimmt zwar, aber die Stimmung ist sehr positiv und es gibt ebenfalls nur Zustimmung und positive Diskussionsbeiträge.
Trotzdem lese ich jeden Abend die Vielzahl der Mails, die ich persönlich bekomme und natürlich auch die heftigen Diskussion auf meinem Blog. Zeit zum Antworten finde ich leider meist erst am Wochenende. Ich bitte auch um Verständnis, dass ich nicht auf einzelne Blog-Beiträge eingehen kann. Aber die Blogger finden ohnehin auch ohne meine Beteiligung genug Zündstoff.
Diese Woche bin ich u. a. vom BSA (Bund sozialistischer Akademiker) in St. Pölten eingeladen, im Management Club diskutiere ich mit Bernd Schilcher und Kurt Scholz, die ich beide sehr schätze. Am Freitag bin ich bei einer Diskussion der Kirchlich Pädagogischen Hochschule über Begabungsförderung.
Unabhängiger Schüleranwalt des Kurier
Ich habe mich entschlossen, das Angebot des Kuriers unabhängiger Schüleranwalt zu werden, anzunehmen. Das ermöglicht mir die immer größere Anzahl von Fällen, mit denen ich konfrontiert werde professionell zu bearbeiten. Schon nach wenigen Tagen wird klar, dass das Echo von Schülern und Eltern überwältigend ist. Ich übe diese Tätigkeit natürlich ehrenamtlich aus, sie ist aber sehr zeitintensiv. Auch im Kurier habe ich einen Blog eröffnet, wo meine Fans und Gegner schon intensiv diskutieren. Meine Rolle als Schüleranwalt wird es mir jedenfalls in Zukunft ermöglichen den notwendigen Druck in der Öffentlichkeit und bei den Behörden zu verstärken. Viele sehen darin eine Hoffnung, einige werden das als gefährliche Drohung verstehen. Frau Ministerin Claudia Schmied hat dem Chefredakteur des Kurier Dr. Christoph Kotanko und mir versichert, dass sie sich bemühen wird allen Fällen nachzugehen. Natürlich erhoffen wir uns, dass Schüler und Eltern in dem leider sehr starren und hierarchischen Schulsystem endlich jenen Stellenwert bekommen, den sie verdienen: Die Rolle als wertgeschätzte Kunden
Was mir Sorge macht, ist, dass fast alle Eltern und Schüler bitten, ihre Fälle anonym zu behandeln. Das macht konkrete Lösungen schwierig. Es zeigt aber vor allem wie viel Angst in diesem System herrscht – und zwar bei Schülern, Eltern und Lehrern.
Der Blog explodiert:
Vor allem seit der letzten Woche explodiert der Blog, was mich sehr freut, weil ich ja vor allem eine öffentliche Diskussion auslösen wollte. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es 399 Beiträge. Das freut mich sehr. Einige sind besonders fleißig unterwegs. Daher einmal ein Dankeschön an die Top Five Blogger:
1. profundi
2. inlinzbeginnts
3. altlehrerin
4. future
5. marinal
Was mir weniger gefällt ist der abwertende, teilweise verletzende Ton, den einige wenige in den Blog einbringen. Anspielungen wie „SS“, oder Beschimpfungen wie „Klugsch… „ und „Idioten“ usw. haben auf diesem Blog nichts verloren. Beiträge, die nicht dem üblichen Umgangston entsprechen, oder pauschale Beleidigungen (und die Repliken darauf) werden daher auch konsequent gelöscht
Wieder ein Wort an die Fraktion der Verschwörungstheoretiker:
Wenn ich derzeit an irgendetwas in meinem Leben keinen Mangel habe, dann an E-Mails, die ich bekommen. Ich schreibe mir daher keine selbst und publiziere auch nicht unter verdecktem Namen auf meinem eigenen Blog. Im Gegensatz zu manchen besonders heftigen Kritikern schreibe ich ausschließlich unter meinem Namen und nicht unter einem Pseudonym.
Eine Frage kann ich meinen Kritikern nicht ersparen: Woher kommt Ihre große Angst sachlich über die von mir gemachten positiven Beispiele zu diskutieren. Warum verteidigen Sie einen Status quo in unserem Schulsystem, der nicht zu verteidigen ist?
Ist es wirklich so vermessen zu fordern, dass 100 Prozent der österreichischen Schüler nach neun Jahren Schule zumindest Lesen und Schreiben können? Derzeit sind 21 Prozent der Fünfzehnjährigen defacto Analphabeten!
Wollen wir uns tatsächlich damit zufrieden geben, dass es vor allem in der AHS Oberstufe nicht möglich ist, das geforderte Wissen bei Prüfungen im regulären Unterricht zu lernen. Derzeit braucht jeder zweite AHS Schüler Nachhilfe!
In den nächsten Wochen werden wieder ca. 37.000 Schülerinnen und Schüler erfahren, dass sie ihr Klassenziel nicht erreicht haben. Sind sie alle selber Schuld?
Sollen weiter Kinder schon am Beginn ihrer Schullaufbahn ständig das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie zu dumm für die Schule sind, nur weil sie an Legasthenie oder anderen Lernstörungen leiden?
Jeder kann natürlich eine andere Meinung zu meinen Thesen haben, aber die aufgezeigten Fakten sind nicht widerlegbar.
Von positiven Beispielen lernen:
In meinem Buch und auch auf meinen Blogs zeige ich immer wieder positive Beispiele von Schulen in Österreich aber auch im Ausland, die versuchen es besser zu machen. Interessanter Weise lösen meine Positivbeispiele aber ebenfalls Ängste bei den wenigen totalen Veränderungsverweigerern aus. Da wird dann irgendwo im Web ein Zitat von jemandem entdeckt, der sich negativ über eine dieser Schulen äußert. Der Versuch, die Key-School, die auf den Konzepten von zwei der führenden Wissenschaftern der Welt aufgebaut ist zu diffamieren, ist grotesk. Dazu werde ich in einem meiner kommenden Blog-Beiträge Stellung nehmen.
Und wenn man wie bei der von mir angeführten Nueva School nichts findet, dann versucht man sich mit dem Hinweis, dass das eine Privatschule sei zu retten. Natürlich sollen wir von den besten lernen. Ein Prinzip, das zum Beispiel in der Wirtschaft, in der Kunst und im Sport schon lange etabliert ist. Daher trete ich auch für einen intelligenten Wettbewerb zwischen den Schulen ein. Engagierte und leistungsorientierte Menschen fürchten sich nicht vor der Vergleichbarkeit. Im Gegenteil: Sie wollen, dass ihre besonderen Leistungen endlich wahrgenommen und gewürdigt werden.
Ich möchte mich umso mehr bei all jenen bedanken, die mir in Mails und Briefen positive Beispiele schicken, die beweisen, dass die Schule von morgen schon heute an vielen Schulen in Österreich stattfindet. Und ich werde auch nicht aufhören diesen jene Aufmerksamkeit zu verleihen, die sie verdienen. Das alles in dem Wissen, dass je mehr man Neues wagt, natürlich auch immer der Gefahr des Scheiterns ausgesetzt ist. Nur wer nichts riskiert, macht keine Fehler. Daher zum Abschluss ein Zitat von Tom Peters, das ich allen Menschen in unseren Schulen widmen möchte, die sich nicht mit dem Mittelmass zufrieden geben:
Traue dich! Engagiere dich! Scheitere! Steh wieder auf! Versuche es nochmals! Scheitere wieder! Versuche es nochmals!
Aber höre niemals auf, weiterzugehen. Der Fortschritt für die Menschheit wird von jenen gemacht, die diesen Kampf aufnehmen. Nicht von jenen furchtsamen Seelen, die sich von Traditionen unterdrücken lassen, die Verantwortung scheuen, die Schuld immer bei anderen suchen und ständig Angst davor haben, scheinbar mächtigen Autoritäten zu missfallen.
Wie immer freue ich mich auf ihre engagierten und - respektvollen - Kommentare.
Andreas Salcher
27. April
Liebe Blogger,
diesen Kommentar schreibe ich aus den USA, wo ich gerade wieder einige herausragende Denker für mein CURRICULUM PROJECT - Creating the Schools of Tomorrow treffe und auch einige besonders innovative Schulen besuche.
Heute hatte ich das Privileg, dass mir Mihaly Csikszentmihalyi, der Entdecker des flow, fast einen ganzen Tag seiner wertvollen Zeit geschenkt hat. Der führende Glücksforscher Csikszentmihalyi hat gemeinsam mit dem Harvard Professor Howard Gardner die Key School in Indianapolis initiiert, die auf den wissenschaftlichen Prinzipien der beiden, flow bzw. dem Konzept der multiplen Intelligenzen, aufbaut. Das faszinierende am Erfolg der Key School ist, dass die Schüler nicht nach Leistung sondern nach dem Zufallssystem ausgewählt werden. Trotzdem erbringen die Schüler seit vielen Jahren unter allen Schulen in Indianapolis, inklusive der teuersten Privatschulen, sowohl in den klassischen Schuldisziplinen als auch z. B. in sozialer Kompetenz die besten Leistungen. Die Key School, die eine öffentliche Schule ist, selektiert aber sehr genau die Lehrer, was ein weiterer Beweis dafür ist, welchen entscheidenden Einfluss ausgezeichnete Lehrer auf die Talententwicklung haben. Ich habe die Key School in meinem Buch beschrieben.
Csikszentmihalyi hat mir heute auch Details einer noch unveröffentlichten Studie von ihm verraten. In dieser Studie wurden 1.200 Schüler und Lehrer der zehn besten Schulen der USA nach ihren wichtigsten Erwartungen gefragt, die sie an die Schule haben. Bei den Schüler kam an erster Stelle der Antworten auf die Frage, was sie sich nach vier Jahren Schulbesuch erwarten, ein klares Ergebnis: "Ich möchte eine glücklicherer Mensch sein." Bei den befragten Lehrern kam diese Antwort auf die Frage, was ihrer Meinung nach das wichtigste Ziel für die Schüler sei, an 17. und letzter Stelle. Das zeigt meiner Meinung nach eindrucksvoll, wie wichtig eine Diskussion über die Werte ist, die in unseren Schulen vermittelt werden sollen. Und diese Diskussion muss eindeutig den bisherigen Fächerkanon, der seit 75 Jahren völlig unverändert ist, sprengen.
In San Francisco besuchte ich die Nueva School. Besonders beeindruckten mich zwei Dinge: Erstens die Architektur - die Klassenzimmer sehen eher wie Wohnzimmer als wie traditionelle Klassenzimmer aus. Es gibt auch ein Innovations-Laboratorium - das sollte eigentlich so selbstverständlich wie ein Turnsaal an jeder Schule sein. Und zweitens die angstfreie Atmosphäre an der Schule. Als die Direktorin der Schule eine Tour mit mir machte, fiel mir auf, dass, wann immer wir einen Raum betraten, in dem gerade Unterricht statt fand, veränderte sich die Atmosphäre in der Klasse weder bei den Schülern noch bei den Lehrern auch nur ein bisschen. (Bei uns in Österreich verändert sich das "Raumklima" in fast jeder Klasse sofort, wenn die Direktorin eine Klasse betritt.)
Ein paar gut gemeinte Worte an die paar Verschwörungstheoretiker, die sich seit einiger Zeit mit großem Engagement in meinen Blog einbringen: Ich bin ein großer Freund von Dan Brown und seinen spannenden Verschwörungstheorien im "Da Vinci Code". Und ich kann sein nächstes Buch "The Salamon Key" nicht erwarten. Nur liebe Verschwörungstheoretiker, bei aller Liebe zu Dan Brown, hinter dem TALENTIERTEN SCHÜLER UND SEINE FEINDE steht weder eine raffinierte Strategie eines Unternehmensberaters noch schreibe ich mir selbst Mails oder verstecke mich hinter fiktiven Namen auf meinem eigenen Blog. Ehrlich gesagt, hätte ich nicht die Zeit dazu. Ich ließ bisher drei Mails von meinem Blog löschen, weil sie gegen meine Prinzipien von politischer Korrektheit verstoßen: sie richteten sich alle sehr aggressiv gegen Lehrer. Kritische Mails gegen mich bleiben alle in volle Länge und Härte stehen. Der bisher große Erfolg meines Buches basiert nicht auf Manipulation sondern ganz einfach darauf, dass das Buch einen tabuisierten Bereich unserer Gesellschaft genau getroffen hat. Wann immer im Prinzip allen durchaus bekannte, aber bisher verdrängte Tatsachen öffentlich ausgesprochen werden, führt das zu heftigen Reaktionen.
Allen Blogger, die mit viel Fantasie über meine Tätigkeit als Unternehmensberater spekulieren, sei eines gesagt: Im Gegensatz zu unserem Schulsystem, das Lehrer zwangsverteilt, entscheiden über einen Unternehmensberater nur die Kunden. Wer schlecht ist, und der Prozentsatz schlechter Unternehmensberater ist zweifellos eher noch höher als der von ungeeigneten Lehrern, erhält einfach keine Aufträge mehr und daher löst sich das Problem der Totalversager im Gegensatz zu unseren Schulen meistens von selbst.
Manche Blogger machen mir den Vorwurf, dass ich noch nie eine Klasse unterrichtet hätte und manche trauen mir nicht zu, auch nur eine Stunde Unterricht durchzuhalten. Nun, ich unterrichte in der Sir Karl Popper Schule einmal im Jahr zwei Klassen eines Jahrgangs gemeinsam. Der verpflichtende Maturagegenstand "Koso" (Kommunikation und Soziale Kompetenz) ermöglicht mir das. Ich machen dann Kommunikationsübungen mit den Schülern, die ich sonst mit Managern in meinen Seminaren mache. Und ich bin jedes Mal über die großer Energie und von der hohen Auffassungsgabe der Popperschüler begeistert. Dass Unterrichten sehr anstrengend ist, kann ich durchaus bestätigen. Es ist jedenfalls nicht so, dass mir die Realität eines Klassenzimmers völlig fremd ist, aber mir ist natürlich bewusst, dass zwei Stunden an der Popper Schule etwas völlig anderes sind als jeden Tag zu unterrichten. Umso größer ist mein Respekt für alle Lehrer, die jeden Tag mit der richtigen Einstellung in ein Klassenzimmer gehen, und oft gegen die Widrigkeiten eines schlechten Systems, großartigen Unterricht bieten. Die Entscheidung darüber, ob in einer Klasse jeden Tag Lernen als ein gemeinsames spannendes Erlebnis stattfindet oder ob Schule grauer Alltag sein muss, wie ein Blogger meint, diese Entscheidung trifft aber jeder Lehrer.
An dieser Stelle möchte ich auch den vielen Lehrern danken, die mir eine Vielzahl von sehr konkreten Verbesserungsvorschlägen geschickt haben. Ich bekomme auch sehr gut dokumentierte Projekte, die zeigen, was einzelne Lehrer an Österreichs Schulen für innovativeren Unterricht leisten.
Zum Abschluss noch ein Wort an die Eltern: Noch immer erhalte ich täglich eine Vielzahl von teilweise erschreckenden Fällen, wie mit Kindern in unserem Schulsystem umgegangen wird. Ich lese jeden einzelnen dieser Fälle und denke intensiv darüber nach, wie ich dem große Vertrauen, das mir entgegengebracht wir, gerecht werden kann. Mein Ziel ist es, den notwendigen öffentlichen Druck zu entwickeln, damit auch aus unseren Schulen lernende Systeme werden können, die aus Fehlern lernen können. Ich überlege derzeit gemeinsam mit einigen Freunden intensiv, wie wir das riesige Echo auf mein Buch, in konkrete Verbesserungen für unsere Schulen umsetzen können. Dass das nicht ganz einfach werden wird, ist mir bewusst.
Nochmals vielen Dank an alle, die sich die Mühe machen mir zu schreiben.
Andreas Salcher
14. April
Liebe Blogger,
ich bin ganz ehrlich überwältigt von den vielen Reaktionen die DER TALENTIERTE SCHÜLER UND SEINE FEINDE bisher ausgelöst hat. Ich schreibe diesen Kommentar am Sonntag, den 13. April knapp vor Mitternacht. Zu diesem Zeitpunkt gibt es 107 Beiträge auf dem Blog, das entspricht ungefähr einem Zehntel der Reaktionen, die ich als persönliche E-Mails erhalte. Unglaublich, dass mein Buch erst vor fünf Wochen erschienen ist. Freunde von mir, die sich auf diesem Gebiet weit besser auskennen als ich, sagen mir, dass diese ca. 900 persönliche E-Mails und Briefe die ich bisher erhalten habe sicher nochmals mit einem Faktor von 10 multiplizierbar sind, wenn man alle Menschen berücksichtigt, die bisher nicht die Zeit fanden, mir persönlich zu schreiben. Soviel Zustimmung macht dankbar und gibt viel Energie und Kraft. Umso mehr möchte ich mich einmal bei allen bedanken, die mir bisher ihre Meinung geschickt haben, fast alle waren euphorisch bis sehr positiv, ich lese aber selbstverständlich auch die kritischen Mails. Ich ersuche alle, die mir schreiben um Verständnis dafür, dass es manchmal sehr lange dauert bis ich antworte, aber ich bin eine „One Man Army“ ohne Infrastruktur und daher braucht das alles seine Zeit.
Was mich besonders freut ist, dass ich immer mehr Reaktionen von Menschen erhalte, die mein Buch auch wirklich gelesen haben. Und deren sehr positive Resonanz gibt mir große Hoffnung, dass die Zeit reif ist, Veränderungen tatsächlich zu erreichen. Ich möchte auch völlig klar sagen, dass ich mir der Verantwortung gegenüber meinen Lesern sehr bewusst bin. Ich arbeite bereits mit Freunden an konkreten Vorschlägen, wie wir bessere Schulen sofort und ohne große Kosten erreichen können, denn darum geht es mir wirklich.
Zum Abschluss wie immer ein Wort an die talentierten Lehrer: Im Gegensatz zu manchen öffentlichen Darstellungen erhalte ich auch von Lehrern zu 90 Prozent sehr positive Reaktionen, sowohl per Mail als auch bei meinen Lesungen. Und darauf bin ich sehr stolz. Nur eine „Koalition“ der engagierten Lehrer, Schüler und Eltern wird jenen Druck entwickeln, der unser leider völlig erstarrtes Schulsystem öffnet. In der kommenden Woche bin ich auf Lesetour in Innsbruck, Linz und Salzburg und freue mich, mit vielen interessierten Menschen über bessere Schulen zu diskutieren – Schulen die unsere Kinder verdienen.
Andreas Salcher
25. März 2008
Liebe Blogger,
ich bemühe mich ehrlich mit der Welle von Reaktionen die ich bekomme sehr respektvoll umzugehen. Ich lese jedes der ca. 50 bis 150 Mails die ich täglich bekomme, habe aber keine Möglichkeit diese sofort individuell zu beantworten. Das was Sie hier veröffentlicht am Blog sehen ist jedenfalls nur die Spitze des Eisberges der Mails, die ich täglich bekomme, worüber ich mich natürlich sehr freue.
Die Fälle, die mir zum großen Teil sehr gut dokumentiert geschickt werden, zeigen mit welcher Ignoranz und Gleichgültigkeit in unserem Schulsystem mit den Talenten unserer Kinder umgegangen wird. Um eines ganz klar zu sagen: 99 Prozent der Reaktionen die ich erhalte sind zustimmend. Die Mehrzahl stammt von verzweifelten Eltern, es sind aber auch viele engagierte Lehrer dabei, die sich darüber beschweren wie ihre Initiativen abgeschmettert werden, wie oft nach wie vor das richtige Parteibuch vor der Qualifikation kommt oder wie kalt und desinteressiert die Schulbürokratie mit Lehrerengagement umgeht. Würde ich das Buch heute nochmals schreiben, würde ich vieles noch härter formulieren.
Ich möchte kurz auf einige der häufigsten Fragen einzugehen:
Warum habe ich dieses Buch geschrieben?
Die PISA Ergebnisse haben eine Fachdiskussion zwischen Experten und eine Schuldzuweisungsdebatte zwischen den politischen Parteien ausgelöst. Die Talente unserer Kinder sind dabei aber wieder nicht vorgekommen. Ich will eine Wertediskussion über den Umgang mit den Talenten in unserer Gesellschaft auslösen. Die Tatsache, dass 21 Prozent der 15 Jährigen nach neun Jahren Pflichtschule nicht sinnerfassend lesen können wird offensichtlich als Kollateralschaden unseres Schulsystems einfach zu Kenntnis genommen – und nicht als bedrohliche intellektuelle Katastrophe für unser Land. Und ich will vor allem das Tabu angreifen, dass alle die im Schulsystem scheitern selbst schuld sind.
Die Frage nach meinen wirtschaftlichen Interessen, halte ich für legitim und ersuche alle die Zweifel an meiner Motivation haben einfach meinen Lebenslauf zu studieren. Ich habe mich seit meinem 16. Lebensjahr als Schülervertreter für bessere Schulen eingesetzt, die Sir Karl Popper Schule mitbegründet und viele andere idealistische Initiativen wie z. B. die Waldzell Meetings im Stift Melk initiiert. Das Buch, dem ich die letzten sechs Monate meiner Zeit gewidmet habe, verstehe ich als Startschuss für eine Debatte für bessere Schulen. Und diese Debatte ist erst am Anfang.
Habe ich mit dem riesigen Echo gerechnet?
Victor Hugo hat einmal gesagt: „Nichts ist so mächtig, wie eine Idee deren Zeit gekommen ist.“ Ich bin davon überzeugt, dass sich vor allem die Eltern den Umgang mit den Talenten ihrer Kinder in der Schule einfach nicht mehr länger gefallen lassen. Auch immer mehr Lehrer leiden unter einem Schulsystem, dessen Wurzeln in der industriellen Massenproduktion liegen und das überhaupt keinen Raum und keine Zeit für die individuelle Förderung von Schülern bietet. Und genau von den Schülern wird auch die größte Veränderungskraft ausgehen. Es freut mich daher besonders, dass das Buch DER TALENTIERTE SCHÜLER UND SEINE FEINDE in vielen Klassen unter den Bankreihen als „Untergrundliteratur“ gelesen wird. In vielen Lehrerzimmer ebenfalls, wie ich höre – und das ist sehr gut so.
Wie geht es weiter?
Wichtig erscheint mir, jetzt einmal wirklich gemeinsam einen Befund darüber zu erstellen, warum wir so mit den Talenten der Schüler und der Lehrer umgehen. Um das auf den Punkt zu bringen, war offensichtlich jemand außerhalb des Systems notwendig. Ich bin weder Lehrer, wie irrtümlich berichtet wurde, noch Schulexperte – ich bin vielleicht ein Experte dafür tabuisierten Bereichen in unserer Gesellschaft jene Aufmerksamkeit zu verschaffen, die sie verdienen. Es geht nicht um die Suche nach Schuldigen sondern um eine Wertedebatte, die wir aber in der notwendigen Klarheit führen müssen. Diese Debatte über die Talente jedes einzelnen Kindes kann am Frühstückstisch jeder Familie und in jedem Klassenzimmer begonnen werden. Es geht darum unsere Perspektiven zu verändern, uns Zeit zu nehmen und einander zuzuhören. Jede Minute, über die jetzt über Talente gesprochen wird, ist eine gewonnene Minute. Die Lösungen sind ganz offensichtlich, wir müssen nur genau hinschauen, dann wird es zu jenen kleinen Veränderungen und Schritten kommen, die auf einmal Öffnung, Bewegung und Freude in unsere Schulen bringen. Ich werde auch einige der vielen Vorschläge, die ich bekommen habe öffentlich anbieten – zur rechten Zeit.
Last but not least, liebe Lehrer:
Im Schlusskapitel meines Buches steht: „Wenn wir an Lehrer denken, dann dürfen wir nicht nur verschrobene Besserwisser mit pedantischem Hang zum Irrelevanten vor unserem geistigen Auge haben, sondern vor allem leidenschaftliche, gebildete Persönlichkeiten, die wissen, was man machen kann, damit es einem besser geht. Anständige Menschen werden von einem Leben in Anstand angezogen. Viele talentierte Schüler könnten eines Tages zu guten Lehrern statt zu gut bezahlten Managern, Anwälten oder Bankern ausgebildet werden. Das Geld fehlte ihnen nicht, würden sie mit Respekt bezahlt.
Wenn unsere Gesellschaft mehr Respekt für die Lehrer hätte, dann würden viel mehr unserer Besten Lehrer werden. Die guten Lehrer würden durch Anerkennung motiviert und hätten damit mehr und länger Kraft. Und dann bekämen alle Schüler die Lehrer, die sie verdienen, auch die talentierten.“
Liebe Lehrer, man bezahlt Euch, vor allem am Beginn Eurer Karriere mies, man verweigert Euch die gesellschaftliche Anerkennung die Ihr verdient und man behindert Euch mit sinnlosen Vorschriften und ahnungslosen Vorgesetzten. Nur eines kann man Euch nicht nehmen: Die Entscheidung darüber mit welcher Einstellung Ihr jeden Tag in die Schule geht und um die Lebenschance jedes Kindes kämpft, für das Ihr Verantwortung habt.
Nochmals vielen Dank für Ihre Zeit, die Sie sich nehmen, um mir Ihre Meinung zu schicken.
Andreas Salcher
11. März 2008
Liebe Blogger,
zunächst möchte ich mich bei allen bedanken, die sich die Zeit nehmenteilweise sehr ausführlich zu dem wohl wichtigsten Thema der Zukunft, der Entdeckung und Förderung der Talente aller Kinder, Stellung zu nehmen. Ich freue mich natürlich über die sehr vielen zustimmenden Reaktionen aber ich schaue mir auch alle kritischen sehr genau an. Mir ist natürlich bewusst, dass es mir jetzt wie fast allen Autoren geht, die ein Buch über ein Tabuthema schreiben und damit heftige Reaktionen gleich zu Beginn auslösen.
Derzeit diskutieren natürlich viele über das Buch, die es noch gar nicht gelesen haben (können). Jeder der das Buch gelesen hat, muß mir zwei Dinge zugestehen:
1. Meine Anklage ist eben nicht pauschal, sondern sehr spezifisch. Das einzige was in meinem Buch pauschal ist, ist der Anspruch den ich erhebe:
Die Schule hat sich den Schülern anzupassen und nicht die Schüler der Schule. Und jetzt einmal ganz ehrlich. Wenn wir hier gemeinsam eine Organisation neu erfinden würden, würden wir dann unsere Kinder knapp nach sechs Uhr in der Früh aus dem Bett reißen, in Gruppen von bis zu 36 in Klassen sperren, alle 50 Minuten läutet die Glocke, drei Monate sind Ferien, den Rest der Zeit stressen sich Kinder, Eltern und Lehrer zu Tode. Würde wir Schule heute wirklich wieder genau so machen?
2. Das Buch ist ein kein Anti-Lehrer Buch sondern ein flammendes Plädoyer für den wichtigsten Zukunftsberuf mit vielen Heldengeschichten über Lehrer. Zu meinem Vorwurf, dass gerade die besten und die besonders engagierten Lehrer in unserem Schulsystem nicht gefördert sondern massiv behindert werden stehe ich.
Mit großer Freude darüber, dass endlich einmal die wirklichen Themen diskutiert werden freue ich mich auf Ihre Meinungen.
Andreas Salcher
Der Beitrag wurde am Dienstag, 11. März 2008, 08:07 veröffentlicht und wurde unter dem Topic abgelegt.
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